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Einfluss

Nach einer Studie sind nur etwa ein Dutzend Menschen in den USA für 65 Prozent aller falsch- und irreführenden Corona-Meldungen auf Facebook und Twitter verantwortlich. Darunter: Joseph Mercola, ein Osteopath.

Quelle: Süddeutsche ON vom 27. Juli 2021, 17:17 Uhr, Thorsten Denkler, New York

Die Unverfrorenheit, mit der der Osteopath Joseph Mercola aus Florida sich im Internet bewegt, lässt sich schnell erkennen. Auf seiner Website Mercola.com lässt er seine eigenen Texte mit dem Label "Fakten gecheckt" und einem kleinen Haken davor ausweisen. Einer der Artikel ist überschrieben mit der Zeile: "Wie die Plage der Korruption Menschen tötet." Er nährt mit dem Text Zweifel an der Impfkampagne in den USA, an den Impfstoffen und an den Herstellern. Und er macht das nicht nur dort mit übergroßem Erfolg.

Mercola steht nach einer Studie des "Center for Countering Digital Hate" an der Spitze der zwölf einflussreichsten Impfskeptiker auf Twitter und Facebook. Dieses, nun ja, dreckige Dutzend, ist laut der Studie für 65 Prozent aller Falschmeldungen und Fehlinformationen zum Thema Corona auf den beiden Plattformen in den USA verantwortlich. Zu den Top drei gehören noch Robert F. Kennedy, ein vor Jahren schon in das Impfgegner-Lager abgedrifteter Sprössling der weitläufigen Kennedy-Familie. Und Erin Elizabeth, die die Website "Health Nut News" betreibt. Und zufälligerweise Mercolas Freundin ist.

Mercola ist derzeit so etwas wie der Staatsfeind Nummer eins in den USA. Präsident Joe Biden hat Facebook und Twitter aufgerufen, Mercola und andere Impfskeptiker mit großer Reichweite von ihren Plattformen zu verbannen. Aus guten Gründen: Wie viele westliche Staaten haben es auch die USA mit zunehmender Impfmüdigkeit zu tun. Seit Anfang Juli hätten 70 Prozent der erwachsenen Bevölkerung mindestens einmal geimpft sein sollen. Aktuell sind immer noch nur 69 Prozent.

Wobei sich die Lage in den Bundesstaaten stark unterscheidet. In Vermont liegt der Wert bei 86,5 Prozent. In Mississippi bei 48,8 Prozent. Die Delta-Variante, die auch in den USA längst dominant ist, verbreitet sich in Bundesstaaten mit geringer Impfquote besonders rasant. Die Zahl der Neuinfektionen steigt zum Teil im dreistelligen Prozentbereich. 97 Prozent der eingewiesenen Corona-Patienten sind nicht geimpft.

600 impfkritische Beiträge auf Facebook

Es sind vor allem die von Republikanern regierten Bundesstaaten, die ein Problem damit haben, ihre Bevölkerung an die Nadel zu bekommen. Hier ist auch die Impfskepsis am meisten verbreitet. Für Leute wie Joseph Mercola ist das die perfekte Spielwiese. Allein auf Facebook soll er seit Beginn der Pandemie mehr als 600 impfkritische Beiträge veröffentlicht haben.

Das wäre an sich kein großes Problem. Wenn Mercola dort nicht 1,7 Millionen Follower hätte. Und das ist nur seine englischsprachige Seite. Sein spanischsprachiges Facebook-Angebot weist eine weitere Million Follower aus. Dazu kommen nach einer Analyse der New York Times 17 weitere Facebook-Seiten, die direkt oder indirekt mit Mercola in Verbindung stehen. Die 300 000 Follower auf Twitter und 400 000 Abonnenten auf Youtube fallen da kaum noch ins Gewicht.

Mercola betreibt vor allem eines: ein lohnendes Geschäftsmodell. Gerne preist er die angebliche Wunderwirkung diverser Produkte an, die er selbstredend auch über seine Homepage vertreibt. Auf dem Gebiet ist Mercola kein Neuling. Bereits 2012 schrieb er, wie gut angeblich Solarien helfen, das Krebsrisiko zu verringern. Er bezog sich auf Studien, die von der Wissenschaftsgemeinde bereits zerpflückt worden waren. Die Solarienmodelle "Vitality" und "D-Lite" konnten praktischerweise für bis zu 1400 Dollar direkt über ihn bezogen werden. 2017 wurde er wegen irreführender Werbung verurteilt und musste fast drei Millionen Dollar an seine Solarien-Kunden zurückzahlen. 2005, 2006 und 2011 hat er weitere Verwarnungen der US-Gesundheitsbehörde FDA erhalten.

Aber Mercola machte immer weiter. Er gründete Unternehmen wie die "Mercola.com Health Resources" und "Mercola Consulting Services" mit Niederlassungen in Florida und auf den Philippinen. Sie helfen ihm, schnell auf neue Nachrichten aus der Welt der Gesundheit zu reagieren. Mercola betreibt Blogs, verschickt Newsletter und produziert Videos in fast einem Dutzend Sprachen. Sein Netzwerk aus Websites und Social-Media-Accounts ist ein Kosmos für sich. Im Jahr 2017 gab er in einer eidesstattlichen Versicherung sein Nettovermögen mit mehr als 100 Million Dollar an.

Ihn auf Twitter sperren? Nicht so einfach

Die Corona-Pandemie hat ihm neuen Schwung gegeben. In seinen Beiträgen stellte er mit Vorliebe wissenschaftliche Erkenntnisse über das Virus in Frage. Im Dezember behauptete er etwa, dass Masken die Ausbreitung des Virus nicht stoppen. Er empfahl auch bestimmte Vitaminpräparate zu nehmen, um eine Corona-Infektion abzuwehren. Nach dem die FDA ihn im Februar auch in dieser Sache abgemahnt hat, sind solche Posts wieder verschwunden.

Neben Biden fordern auch Organisationen wie das "Center for Countering Digital Hate", Leute wie Mercola von den Social-Media-Plattformen auszusperren. Damit aber tun sich die Anbieter schwer. Facebook und Twitter versehen fragwürdige Posts lieber mit Hinweisen, dass die Inhalte irreführend sein könnten. Und Mercola ist schlau genug, keine eindeutigen Falschbehauptungen mehr in die Welt zu setzen. Die verpackt er lieber in Fragen. Ein beliebtes Mittel von Verschwörungsmystikern. Um Zweifel zu schüren reicht das.