Wie gefährlich ist das Coronavirus?

Bei schweren Verläufen einer Infektion mit dem neuen Coronavirus kann es zu Folgeschäden kommen. Wir erklären, wann und warum es dazu kommen kann.

8. Oktober 2020 >> Quarks

Der entscheidende Faktor

Covid-19 sei nicht gefährlicher als eine gewöhnliche Grippe, behaupten Coronakritiker oft. Doch der Vergleich von Sterblichkeitsraten widerlegt das. Warum dieses Wissen im Kampf gegen die Pandemie helfen könnte.

Von Werner Bartens, Süddeutsche vom 9. Oktober 2020

Wenn es um die Frage geht, wie gefährlich eine Infektion mit Sars-CoV-2 tatsächlich ist, fallen Einschätzungen unterschiedlich aus. Kritiker der politisch verordneten Einschränkungen behaupten oft, dass Covid-19 nicht so bedrohlich sei und es Berichte gebe, wonach nur ein äußerst kleiner Anteil der Infizierten schwer erkranken oder gar sterben würde. Deshalb seien die meisten Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie übertrieben. Außerdem sei die Grippe viel gefährlicher.

Kürzlich ist eine große Metaanalyse erschienen, für die untersucht wurde, wie groß die "Infection Fatality Rate" (IFR) ist, also wie viele der Infizierten sterben. Dazu wurde auch auf bevölkerungsweite Untersuchungen von Blutproben zurückgegriffen. In vorherigen Auswertungen wurde zumeist die Fallsterblichkeit untersucht, die in Deutschland etwa bei 3,1 Prozent liegt, jedoch stark von der Teststrategie eines Landes abhängt. Dabei bleibt die Unsicherheit, dass nicht alle Infizierten, sondern nur die Getesteten erfasst werden, da viele asymptomatische Verläufe nicht dokumentiert sind. Die Infektionssterblichkeit erlaubt hingegen einen gründlicheren Einblick in das Krankheitsgeschehen.

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Weltweit ergibt sich ein erstaunlich gleichförmiges Bild

Die von Wissenschaftlern aus den USA und Australien auf dem Preprint-Server medRxiv veröffentlichten Daten zeigen, dass Infektionen mit dem neuen Coronavirus rund um den Globus ähnlich dramatisch ausfallen und um mindestens den Faktor zehn tödlicher sind als eine Ansteckung mit Influenzaviren. Wird aus Ländern über eine unterschiedliche Sterblichkeit berichtet, ist das demnach damit zu erklären, dass "alte" oder "junge" Stichproben untersucht wurden. Werden die Daten altersentsprechend adjustiert, also den Anteilen an jungen und älteren Patienten angepasst, ergibt sich weltweit ein erstaunlich gleichförmiges Bild. "Das Alter macht es aus und sonst praktisch nichts", sagt Charité-Virologe Christian Drosten in seinem Podcast über die Befunde.

Das Team um Andrew Levin hat aus Hunderten Studien und Datensätzen die gründlichsten ausgewertet. Die Befunde aus 28 Regionen zeigen einen linearen Anstieg der Sterblichkeit mit dem Alter, die über alle Jahrgänge zwischen 0,7 und 0,8 Prozent liegt. Während in der Altersgruppe bis 44 Jahre "nur" 0,06 Prozent der Infizierten sterben, sind es bei den 45- bis 55-Jährigen bereits 0,2 Prozent. Im Alter zwischen 55 und 64 sind es 0,7 Prozent, zwischen 65 und 74 sogar 2,2 Prozent. Bei den Betagten und Hochbetagten ist die Prognose noch ungünstiger: Zwischen 75 und 84 Jahren liegt die Sterblichkeit der Infizierten bei 7,3 Prozent, jenseits der 85 gar bei mehr als 22 Prozent. "Unsere Daten zeigen, dass Covid-19 nicht nur für Ältere gefährlich ist, sondern auch für die mittelalte Bevölkerung", so die Autoren. Würde die ältere Bevölkerung konsequent geschützt, könne die Gesamtsterblichkeit der Infizierten in einer Gesellschaft jedoch von 0,8 auf 0,3 Prozent gesenkt werden.

Die Forscher von den Universitäten Harvard, Dartmouth und Sidney haben konkrete Risikovergleiche angestellt. Für Erwachsene im Alter zwischen 45 und 54 Jahren sei demnach die Wahrscheinlichkeit, an Covid-19 zu sterben, ungefähr 200-mal so hoch, wie innerhalb eines Jahres bei einem Verkehrsunfall ums Leben zu kommen. Auch die oft bemühte Analogie zur Grippe kommt zu einem eindeutigen Risikogefälle, das Ähnlichkeitsvergleiche absurd erscheinen lässt: Die Sterblichkeit an Influenza beträgt 0,05 Prozent, während jene an Sars-CoV-2 um das Zehn- bis Fünfzehnfache höher liegt.

In einer weiteren Auswertung kommen Forscher im International Journal of Infectious Diseases zu einer Infektionssterblichkeit von 0,7 Prozent. Auch hier zeigt sich, wie stark die Unterschiede vom Alter abhängig sind - und mit der medizinischen Versorgung zusammenhängen. "Funktioniert das Gesundheitssystem ähnlich gut, wird es in einem Land mit jüngerer Bevölkerung weniger Todesfälle geben als in einem Land mit vielen älteren Menschen", schreiben die Autoren. So liege das mittlere Alter in Israel bei 30 Jahren, in Italien hingegen bei 45,4 Jahren.

Im Sommer haben sich mehr junge Menschen angesteckt

Die Datenbasis aus Deutschland ist im internationalen Vergleich mäßig. Bundesweite Zahlen zur Infektionssterblichkeit gibt es kaum. Während sich im Sommer mehr jüngere Menschen angesteckt haben, breitet sich das Virus wieder zunehmend in älteren Bevölkerungsschichten aus, was die Wahrscheinlichkeit schwerer Verläufe erhöht.

Rückblickend sieht Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie an der München Klinik Schwabing, der mit seinem Team mehr als 1000 Erkrankte betreut hat, dass die Vorsichtsmaßnahmen gegriffen haben. "Wir haben in den letzten Wochen kaum Patienten gehabt, die an Covid-19 gestorben sind", so der Mediziner. "Dies spricht zum einen für eine gewisse ,Lernkurve' in der Gesellschaft, was Abstand, Hygiene, Alltagsmasken angeht. Zudem kommen Patienten früher in die Kliniken, und verfügbare Medikamente, besonders Remdesivir und Dexamethason, sind oft zum Einsatz gekommen." Zudem würden durch Ausweitung der Tests viele Patienten früher entdeckt und in häusliche Isolation geschickt, ohne dass Klinikkapazitäten überfordert werden. Harmloser wird Covid-19 dadurch nicht - aber vielleicht tragen diese Maßnahmen dazu bei, die Infektionssterblichkeit etwas zu senken.


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