Serkan Engin ist leider keine Wurst,
damit geht’s schon los. Wäre er eine Wurst oder zumindest mit Würsten
behängt, dann wäre jetzt bestimmt was los an seinem Stand, so wie drüben
beim Metzger. Der Metzger hat sich als eine Art Wurst-Barbar
verkleidet, er trägt ein Fell und einen Schottenrock, an dem Würste
hängen, und wenn jemand reinkommt, ein Messebesucher, ein potenzieller
Azubi, ruft er laut: „Ja servus! Trauts euch bloß her!“ Die meisten
Besucher gucken dann ein bisschen erschrocken. Aber egal. Sie gucken.
Serkan Engin hat leider keine Wurst mitgebracht. Er steht da am
Stand der Handwerkskammer mit einer Krawatte und einem dicken Buch mit
Ausbildungsberufen, das er ganz hinten auf dem Tisch versteckt hat.
Manchmal, wenn er an Schulen was übers Handwerk erzählen soll, nimmt er
das Buch mit, und wenn die Stimmung gut ist, holt er es raus: „Das ist
ein Buch“, sagt er dann, „das ist eine tolle Erfindung. Da stehen 130
Berufe drin, und wenn jemand auf das Handwerk pfurzt, pfurzt der auch
auf 130 Berufe.“
Der Witz kommt meistens ganz gut an, manche hören
danach sogar zu. Aber heute steht Serkan Engin nicht vor einer Klasse,
heute steht er auf der Ausbildungsmesse in München, und es ist niemand
da, dem er seinen Buch-Gag erzählen könnte. Einmal schlappt ein Junge
mit Käppi vorbei und fragt, ob man Informatiker werden kann bei der
Handwerkskammer. Da schüttelt Serkan Engin sanft den Kopf, ein Lächeln
wie eine Hängematte. „Ah, okay“, sagt der Junge. Und geht wieder.
In
Deutschland sind noch 63 176 Ausbildungsstellen unbesetzt, Stand Ende
Oktober, das sind so viele wie seit mehr als zehn Jahren nicht mehr. Die
Gewerkschaft sprach von einer Generation Corona, von verlorenen Azubis,
verlorenen Fachkräften, und während sie an den Universitäten darüber
redeten, wie schwer es die Studenten haben mit ihren Partys, sagte
Zimmermeister Martin Kollmeier aus Bayern, er hätte Sorge, dass
irgendwann sein Handwerk ausstirbt.
Dass so viele Stellen noch offen sind, daran ist natürlich erst
mal Corona schuld. Praktika fielen weg, die Berufsmessen fanden digital
statt, und viele Ausbilder wussten gar nicht, wie sie das machen sollen:
Vor dem Bildschirm sitzen, wo sie sonst nie sitzen, um dann davon zu
erzählen, wie toll es ist, in einer Werkstatt zu stehen. Serkan Engin,
Berufsberater bei der Handwerkskammer München, zuständig für 78 000
Betriebe in Bayern, hat mal nachgefragt, wie die Online-Suche nach
Azubis in den vergangenen Monaten lief. Rückmeldung: gar nicht.
Also
fuhr er durchs Land, eineinhalb Jahre lang, von Schule zu Schule, wenn
sie mal offen waren. Er stand vor Klassen, er zeigte Meisterbriefe, er
sagte, Leute, das Handwerk ist krisenfest, bewerbt euch, im Herbst ist
die erste Ausbildungsmesse in Präsenz. Kommt.
Jetzt ist Herbst, später September. Die erste Münchner Ausbildungsmesse in Präsenz seit eineinhalb Jahren. Und niemand ist da.
Sie
hatten hier schon andere Zeiten bei der Messe im Hasenbergl, die im
zweiten Stock des Kulturzentrums stattfindet, ein langer grauer Flur,
links und rechts Zimmer. Sie hatten Zeiten, da warteten schon morgens
die Schüler vor der Tür, die Jungs, die alle gleich zu den
Kfz-Mechatronikern liefen, die Mädchen, die an Serkan Engins Stand
vorbeischlichen: Haben Sie Frisör? Die Mütter, die von Stand zu Stand
schwirrten wie Bienen und Flyer für ihr Kind einsammelten, was er immer
peinlich fand. Gehen Sie dann auch arbeiten für Ihr Kind, fragte Engin
dann schon mal.
Hunderte Schüler an einem Tag, sie standen runter
bis zur U-Bahn. Und weil sie bei der Messe gehofft haben, dass dieses
Jahr wieder so viele kommen, mehr noch, weil doch so viele
Ausbildungsstellen unbesetzt sind, hat jemand Abstandssticker auf den
Boden geklebt.
Sie führen die Treppe runter, über den Hof, den Gehweg entlang,
bis runter zur U-Bahn. 10.30 Uhr, und keiner steht an. „Is’ schon wegen
Corona“, sagt Serkan Engin, 40, der die Dinge gerne auf den Punkt
bringt, „wegen den ganzen Delta-, Omega-, Zett-Virus-Varianten.“
Er
schnauft einmal in seinen Anzug rein, und weil immer noch nichts los
ist an seinem Stand, schlendert er den Flur entlang. Gucken, was die
Konkurrenz so macht. Wegen Corona mussten sie alle Fenster aufreißen,
keiner darf offene Gummibärchen rumliegen lassen, hundert Schüler
dürften eh nicht kommen, sondern nur 80 pro Stunde, und nur mit
Anmeldung.
Da ging’s ja schon los, sagt Serkan Engin, „da hieß es
von den Schülern: Ich hab keine Mail-Adresse. Alle haben Instagram und
Tiktok und den ganzen Quatsch. Aber keine Mail-Adresse?“ Dann schlendert
er rüber zum Metzger im Schottenrock und schleimt ein bisschen los: „A
Traum sind Sie, Herr Gaßner!“, woraufhin der zurückschleimt: „Ah, der
Serkan, wir beide sind wie Dick und Doof, die letzten Mohikaner der
Ausbildung.“
Corona ist nicht an allem schuld, es lief die ganzen
Jahre davor ja schon nicht gut mit den Bewerbungen. Rund 60 Prozent
eines Altersjahrgangs wollen studieren, das sind Zahlen von vor Corona,
Experten gehen davon aus, dass es in den Pandemie-Jahren eher noch mehr
werden. Corona ist nicht schuld. Aber Corona hat die Lage halt auch
nicht verbessert.
Darum sind sie hier. Der Metzger sucht für 40,
50 Mitgliedsbetriebe der Metzger-Innung München, er sagt: „Uns fehlen
die Leut, weil alle glauben, dass sie berühmt werden mit diesem
Influencer-Dingsbums. Die lümmeln vorm Fernseher rum, da gibt’s Tag und
Nacht Berlin, und des war’s dann.“
Und dann erzählt der Metzger davon, wie man ein Schwein zerlegt,
von der siebten Rippe abwärts, das ist der Teil, in den Rocky Balboa
reingeboxt hat. Und er erzählt von dem Weißwurstprüfungsessen, bei dem
sie jede Wurst in winzigen Scheibchen probieren, der Geschmack, die
Konsistenz, das Aussehen, es gibt die bronzene Wurst, die silberne
Wurst, die goldene Wurst. Der Metzger schaut jetzt in die Luft, als
könnte er sie riechen, die Würste. Aber die jungen Leute wollen keine
Würste, weil sie Vegetarier sind oder sonst was, sie wollen kein Schwein
zerlegen. Und Rocky Balboa kennt auch keiner mehr.
Vielleicht ist
das auch etwas, das verloren geht, wenn es weniger Betriebe gibt. Die
Liebe für die eigene Arbeit. Ein Autohändler schrieb mal eine Anzeige
aus Sicht eines Autos: „Azubi Auto sucht Fahrer/in für den
wahrscheinlich besten Job der Welt.“ Die Deutsche Bäckerinnung hat ein
Video an der Eisbachwelle in München gedreht: „Auf dem Brot surfen?
Krass!“ Dann sieht man zwei junge Männer, die ein langes Brot backen und
einen Surfer bequatschen, darauf rumzusurfen. Es folgen ein paar sehr
schnelle Schnitte, der Surfer surft auf dem Brot, Schnitt, Wasser
spritzt, Schnitt, glückliche Frauen winken. Am Ende beißen alle rein, in
das Surfbread.
Das war 2015, lange her, heute ist die Werbung
geschliffener, heute gibt es Agenturen, in denen wahrscheinlich alle was
mit Medien studiert haben und die Anzeigen schreiben für
Handwerksbetriebe. Da steht dann drin, dass Zimmererlehrling Samuel
Oppold schon als Kind davon träumte, Häuser zu bauen, dass er jetzt
sogar nachhaltig bauen will, und alle so gerührt sind von Samuel Oppold,
dass er einen Preis gewonnen hat, der natürlich nicht Preis heißt,
sondern Azubi-Stipendium. So sieht PR aus, wenn sich Akademiker
Handwerker vorstellen.
Auf der Messe ist jetzt doch ein bisschen
was los, ein paar Jugendliche schlendern rum, manche haben
Bewerbungsmappen dabei, andere Taschen, sie sammeln Kulis ein. Der Typ
vom Fielmann-Stand sagt, dass er gleich einen verhaftet, wenn einer zu
ihm kommt. Vielleicht ein Brillenträger, das ist immer einfach, dann
kann man sagen: Ah, du trägst eine Brille, kennst du schon Fielmann? Am
Fenster hockt der Mann vom Hotel-Stand mit der Quietsche-Ente und
daddelt am Handy rum, und rechts stellt der Dachdecker aus, der auch
keine Wurst mitgebracht hat, dafür aber seinen Azubi.
Das
Verrückte ist ja, dass viele Handwerksbetriebe weiterliefen während der
Pandemie. Nicht alle, klar, den meisten ging es schlecht, der Umsatz
brach ein, aber es gibt Branchen, bei denen waren die Auftragsbücher so
voll wie nie. Zahntechniker, Rolladenmechaniker. Der Dachdecker mit
seinem Azubi sagt, bei ihnen lief es richtig gut, baute ja jeder wie
verrückt, als der Lockdown im Sommer aufgehoben wurde. Aber dann stiegen
die Preise für Holz, außerdem fehlten die Azubis, in guten Zeiten
hatten sie 15, jetzt gerade mal vier. Und dann das Gemaule der Leute:
Neulich rief ein Kunde an und beschwerte sich, weil niemand kam, um das
Dach zu decken. Er sei Kunde, er sei König, er wollte den Chef sprechen.
Da sagte der Chef, Junge, wenn du mir Azubis besorgst, kriegste dein
Dach. Wenn nicht: einfach mal warten.
Ins Zimmer kommt jetzt ein Junge mit Nike-Schuhen. „Ja servus“,
ruft der Metzger, aber der Junge will nicht Metzger werden, sondern
Industriekaufmann. Er sagt, die Frau von der Arbeitsagentur hätte ihn
geschickt und gemeint, beim Metzger könne man Kaufmann werden.
Stimmt nicht? Der Junge lacht. Dann geht er wieder.
Serkan
Engin sagt, um das Handwerk zu retten, muss man erst mal gegen die
Unwissenheit kämpfen – und gegen die Vorurteile. Gegen das elitäre
Gerede vom Studium, dieser Akademisierungsdruck, der übrigens auch von
den Eltern kommt. Nicht nur, aber auch. Serkan Engin sagt, er stand
schon in Klassen, in denen ihn die Mädchen anstarrten: Herr Engin,
Handwerk ist schmutzig. Die Jungs sagten: Handwerker sind asozial und
können kein Deutsch. Und die Eltern lächelten, als hätte er einen Witz
gemacht: Herr Engin, Handwerker haben doch keine Karrierechancen. Er hat
Listen angefertigt, auf die er alle Vorurteile geschrieben hat, Folien,
die er zeigt, wenn er in eine Klasse kommt, ganz am Anfang. „Handwerker
arbeiten nur mit den Händen, nicht mit dem Kopf“ – „Handwerk ist unter
meinem Niveau“.
Das sagte mal eine Achtklässlerin zu ihm, als er
fragte, ob sie sich vorstellen könnte, Dachdeckerin zu werden. Sie saß
da mit einem Täschchen und langen Fingernägeln, und da dachte sich
Serkan Engin, gut, dann halt so. „Madel“, sagte er, „ohne Handwerker
hättest du keine gefakte Louis-Vuitton-Handtasche. Ohne Handwerker
hättest du keinen Strom für dein Glätteisen.“ Und als dann im
Hintergrund die Jungs riefen „Haha, krass!“, machte er eine Ansage an
alle: „Habt mal Respekt vor den Menschen, die Tag und Tag für uns
arbeiten. Ohne die hätten wir unseren Luxus nicht.“
Wenn dann alle
gucken, beginnt Serkan Engin mit seiner kleinen Rundreise, dann zeigt
er Bilder von der chinesischen Mauer, 21 000 Kilometer lang, 2000 Jahre
Bauzeit, Handwerk für die Ewigkeit. Bilder vom Marsrover, wo die Mädels
manchmal „Oh mein Gott, Wall-E“ flüstern. Bilder von der Blauen Moschee
in Istanbul, Blattgold, Keramikfliesen, Bilder aus Singapur, von Hotels,
die aussehen, als wären sie aus Wolken gebaut.
Meistens ist es dann still, und er kann mit seiner eigentlichen
Arbeit beginnen. Damit also, zu erzählen, dass ein Meisterbrief so viel
wert ist wie ein Bachelorabschluss. Dass die Abbrecherquote auf den
weiterführenden Schulen wahnsinnig hoch ist, weil alle weitermachen
wollen mit der Schule, aber eigentlich gar kein Bock mehr haben. Dass
ein angestellter Zimmermeister 3000 Euro brutto verdient und man mit
Mitte zwanzig schon einen Betrieb leiten kann, was die Jungs gut finden,
die sich alternativ vorstellen könnten, einfach berühmt zu werden.
So gesehen hat Serkan Engin zwar keine Wurst, aber eine Mission: Das Handwerk zu retten, und die jungen Leute gleich mit.
An
Engins Stand kommt jetzt ein Mann mit gelbem T-Shirt, der sich als
Sozialpädagoge outet, neben ihm ein Junge, der sagt, er heiße Murat.
Murat sagt nicht viel, dafür redet der Sozialpädagoge umso mehr. Der
Sozialpädagoge sagt, dass es dieses Jahr ganz schwer sei mit den
Bewerbungen. Murat nickt. Es gab ja kaum Praktika. Und durch die
Pandemie hätten sich viele Bewerbungen bei den Betrieben angestaut, der
Markt ist also härter geworden. Und wie sollen da die schwächeren
Schüler mithalten? Murat nickt. Außerdem, sagt der Sozialpädagoge, gebe
es ein paar Geflüchtete, die eine Ausbildung brauchen für ihre
Aufenthaltserlaubnis und jetzt nix haben. Und da guckt Murat sehr
traurig.
Die Bertelsmann-Stiftung hat kurz vor Corona eine Umfrage
an Ausbildungsbetriebe geschickt. Raus kam, dass vor allem Kleinst- und
Kleinbetriebe in Zukunft weniger ausbilden möchten, oder gar nicht
mehr. Das sind gleichzeitig die Betriebe, die Jugendliche mit
Hauptschulabschluss nehmen. Und weil Serkan Engin mal einer von ihnen
war, weil er weiß, wie es ist, wenn man ganz unten anfängt, sagt er
jetzt zum Sozialpädagogen, dass er mal schaut, was sich für Murat machen
lässt.
Und darum ging’s ja immer auch bei der Ausbildungsmesse im
Herbst, die offiziell Lastminit-Messe heißt, weil sie dann stattfindet,
wenn das Ausbildungsjahr schon angefangen hat. Da konnten die
Lehrabbrecher kommen, die Stress mit dem Chef hatten. Schüler, die keine
Antwort vom Betrieb bekommen oder sich gar nicht erst beworben haben,
weil sie die Fristen verpennt hatten. „Hauptsache, du bist da“, sagte
Serkan Engin dann.
Vielleicht ist er trotz allem deswegen gerne
hier, weil er selbst nie studiert hat. Weil sein Vater kein Arzt war,
sondern früher in Izmir die Schuhe von Touristen putzte, während seine
Mutter nebendran bettelte. Später zogen die Eltern nach Neuburg an der
Donau, die Mutter sagte, ihr Kind solle es mal besser haben. Ihr Prinz.
Er
hasste die Schule, er langweilte sich, er mobbte die Jüngeren, schau
dich an, wie du aussieht, weil er nicht wusste, wohin mit sich. Einmal
schmiss ihn der Schulleiter raus, weil er im Unterricht ein Kondom
aufblies und zur Lehrerin sagte, sie solle mal chillen, sei nur Kaugummi
gewesen. Nachmittags saß er dann bei den Nachbarn, die ihm Knödel
kochten und Sauerkraut und ihm bei den Hausaufgaben halfen. Ihr Seki.
Daran
denkt er manchmal, wenn er vor den Schülern steht, an seine eigene
Geschichte. Daran, dass er Glück hatte, weil es bei ihm ja immer
weiterging. 14 Bewerbungen bei Audi, 14 Absagen, in Mathe hatte er eine
Vier, in Englisch eine Fünf, dann kam er zur Handwerkskammer und zog
eine Krawatte an. Seine Mutter sagte damals, jetzt hast du es geschafft,
auch wenn sie bis heute gar nicht so genau weiß, was er macht.
Jedenfalls keine Schuhe putzen in Izmir.
Weil immer noch nicht
viel los ist, beschließt der Metzger jetzt, ein Instagram-Video zu
drehen. Der Typ vom Fielmann-Stand findet die Idee großartig, er hält
gleich mal die Tür zu, damit niemand reinkommt. Der Mann vom Hotel-Stand
guckt in sein Handy und fragt, wo man hier eigentlich Mittagessen gehen
könnte, sei ja schon nach elf. Nur der Azubi vom Dachdecker sagt, er
könnte schon was drehen für Instagram.
Der Azubi vom Dachdecker
ist 18, und er findet es gemein, dass seine Generation so hingestellt
wird, als wäre sie faul und hätte nur Bock auf Instagram. Gut, er hat
seine Stelle auch nur bekommen, weil seine Mutter vor Jahren mal auf der
Messe war und ihm einen Flyer mitgebracht hat. Dann ist er hin, zum
Dachdecker, und der Dachdecker sagte: Yo, passt.
Aber sonst reden immer alle nur darüber, wie schlimm Corona für
die Studenten war, und keiner darüber, was das für Lehrlinge bedeutet
hat. Der Azubi holt jetzt sein Handy raus, er will zeigen, was er
gebastelt hat im Online-Unterricht. Er scrollt durch die Bilder, dann
zeigt er einen Haufen Papierschnipsel. Das war ihr Projekt in der
Berufsschule: Dachziegel aus Papier basteln, es durfte ja keiner rauf
aufs Dach. Und was soll er sagen. „Uns hat einfach die Praxis gefehlt.“
Dann
steht er auf und nimmt das Handy vom Metzger, der im Hintergrund schon
geübt hat. „Ja servus“ – „Willkommen beim butchers tale“ – „Hier haben
wir den Keulenkrieger und die Filet-Fee, da ist für jeden was dabei“.
Und wenn das alles nicht so traurig wäre, könnte man fast meinen, hier
entsteht gerade was Großes.
Es wundert ihn schon, sagt Serkan
Engin an seinem Stand, dass das Image so schlecht ist. Trotz Corona. Es
war ja eigentlich die perfekte Werbung, das krisensichere Handwerk, er
hat das gleich mal an Schulen ausprobiert. Erst zeigte er Bilder von der
leeren Allianz Arena. Dann erzählte er von Betrieben, die
weiterarbeiteten. „In den dunkelsten Stunden wurden die Handwerker
gebraucht“, sagte er am Ende. Meistens hatten die Lehrerinnen glänzende
Augen, und es gab sogar den ein oder anderen Schüler, der zu erzählen
anfing. Der sagte, mein Papa ist Schreiner, das ist eigentlich ganz
cool. Ein anderer sagte, er hätte da noch eine Frage zu den Folien mit
den Hotels in Singapur. Was es bringt, wenn man als Handwerker geile
Hotels baut und dann selbst nicht drin wohnt. Da hat Serkan Engin
gesagt: „Wenn du so was baust, Habibi, wenn du das Ergebnis vor Augen
hast, wirst du stolz sein. Das werdet ihr lernen: stolz zu sein.“
Auf
der Messe ist jetzt fast niemand mehr. Beim Metzger ist es still
geworden, er sagt, es war kein einziger Bewerber dabei, der infrage
käme, trotz Wurst. Jetzt mal gucken, er hat ja das Video für Instagram.
Der Typ vom Fielmann-Stand reibt sich die Hände, weil ein Schüler
tatsächlich Interesse hat, nein, nein, nicht an einer Bewerbung, sondern
an einem Schnuppertag.
Serkan Engin steht am Stand der Handwerkskammer, ohne Wurst, aber mit
einem winzig kleinen Stapel Bewerbungen. Neun Stück. Er hat sie gezählt,
zählt sie aber gleich noch mal. Neun. Und so war es doch schon immer:
Manchmal geht es um die Wurst, und manchmal auch um was ganz anderes.