Von Selbstzweifeln geplagt: Szene aus "The Great Hack" mit Brittany Kaiser, die bei Cambridge Analytica dem Brexit und Trump zu Siegen verhalf. Foto: NETFLIX

Die Greta der Daten

Digitale Manipulation  Washington, München, Davos, London: Cambridge-Analytica-Whistleblowerin Brittany Kaiser will mit Film, Buch und Kampagne die Demokratie retten. Und ihren guten Ruf. Von Andrian Kreye, Süddeutsche vom 1. Februar 2020

 

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Weil sich der Überwachungskapitalismus der digitalen Welt während der letzten vier Jahre in einen Manipulationskapitalismus verwandelt hat, gibt es ein paar neue große Fragen. Wie man den demokratischen Prozess retten kann zum Beispiel, oder wie man die Titanen der Tech-Industrie zum Einlenken bringt. Auf die hat Brittany Kaiser ein paar klare Antworten. "Die Geschäftsmodelle müssen sich ändern", sagt die 34-Jährige mit ihrem selbstbewussten Duktus aus dem Mittelwesten der USA. Und: "Die Führungsebenen der Tech-Firmen müssen strafrechtlich für ihre Produkte haften." Das wären radikale Lösungen. Um ihren Hals hängt ein Anhänger mit dem Slogan "Own You Data" (nimm Besitz von deinen Daten). Datensouveränität hieße das, die das digitale Geschäftsmodell zum buchstäblichen Wohle der Allgemeinheit umkrempeln würde. So heißt auch ihre Kampagne, mit der sie gegen Missbrauch digitaler Technologien im politischen Betrieb kämpft. Die Methoden kennt sie gut. Sie gehörte zur Chefetage der Firma Cambridge Analytica, die diesen Missbrauch perfektionierte.

Sie wollte lieber für die CDU als für die AFD arbeiten. Aber die Antwort aus Berlin war: Nein

Noch läuft die Kampagne nicht so richtig, obwohl sie seit einiger Zeit große Mengen Daten veröffentlicht, welche die Methoden der datengetriebenen Wählermanipulation in aller Welt belegt. Es hilft auch nicht, dass sie in keine der beiden Welten passt, in denen sie sich seit ihrer Jugend bewegt. Sie fällt auf, wenn sie zum Beispiel auf einer Konferenz wie dem DLD in München zwischen den Techies in ihren Outdoorwesten und den Finanz- und Politikmenschen mit ihren hellblauen Blusen- und Hemdkragen auftaucht. Mit diesem Hut (sehr breitkrempig). Mit diesen Schuhen (Slipper mit bunten Totenköpfen). Mit dieser Jacke (sehr rot kariert). Im Gespräch merkt man auch, warum man ihr die Rolle als Whistleblowerin so ungern zugesteht. Solche Heldenfiguren der Gegenwart haben ihre Rolle zu spielen. Bescheidenheit, Weisheit und ein kritisches Bewusstsein erwartet die Öffentlichkeit von ihnen. Da passt so eine "angry young woman" nicht ins Bild, eine zornige junge Frau, die ihre Gesprächspartner schnell spüren lässt, dass man es mit einer Person zu tun hat, die immer dort war, wo Geschichte gemacht wird. Und nicht nur die. "Ich habe gerade Greta Thunberg im Zug von Davos getroffen", hat sie nach dem Weltwirtschaftsforum auf Twitter geschrieben. "Fühlte mich sehr geehrt, dass sie mich erkannt hat, weil ich ihr dann sagen konnte, dass es für mich das größte Kompliment ist, wenn mich Leute die 'Greta der Daten' nennen." Ach ja, sie war auch Zeugin im Impeachment-Verfahren gegen Trump, erzählt sie. Und gerade eben einmal mehr im britischen Parlament. Hätte sich Brittany Kaiser mit ihrer Rolle als Whistleblowerin im Cambridge-Analytica-Skandal im Stillen begnügt, wäre alles etwas leichter. Dann würde der Wirbel um sie nicht von ihren Leaks ablenken, die belegen, dass die Londoner Datenfirma nicht nur in Großbritannien und den USA demokratische Prozesse manipuliert hat, sondern in mindestens 68 Nationen. Dass sich derzeit Hunderte solcher Firmen auf die US-Wahlen 2020 vorbereiten, um mit riesigen Datenmengen manipulierbare Wähler zu identifizieren und diese dann mit gezielten Anzeigen, Desinformation und Angstmacherei zu manipulieren. Dass die Wählerdaten, die ihr Arbeitgeber vor fünf Jahren von Facebook abgezweigt hat, immer noch im Umlauf sind. Hat sie aber nicht. Weil ihr die eigene Geschichte genauso wichtig ist wie die Rettung der Demokratie. Zugegeben, es ist eine richtig gute Geschichte, über die es eine Doku gibt ("The Great Hack", auf Netflix) und die sie in einem Buch aufgeschrieben hat ("Die Datendiktatur: Wie Wahlen manipuliert werden", Harper Collins), das ein großer Hollywood-Produzent mit einem Superstar (die man beide noch nicht nennen darf) als Fernsehserie verfilmen wird. Es ist die Geschichte einer Frau, die sich vom Teenager mit Leidenschaft für Politik und digitale Medien zu einer der meistgehassten Politikberaterinnen der Gegenwart entwickelt hat und die nun als Whistleblowerin versucht, ihre Biografie zu retten. Weil sie tief in ihrem Herzen immer eine Liberale, eine Menschenrechtlerin war. Die aber vorerst noch als die Frau in die Geschichte eingehen wird, die mitgeholfen hat, dass der Brexit durchging und Donald Trump Präsident wurde. Die Stationen dieser Biografie sind beeindruckend. Mit 18 arbeitete sie für den Vorwahlkampf des Demokraten Howard Dean, vier Jahre später betreute sie für Barack Obama den Facebook-Auftritt. 2015 erkannte der Londoner Datenunternehmer Alexander Nix ihr Talent und holte sie zu Cambridge Analytica. Wo sie erst für Menschenrechtsprojekte arbeitete. Aber bald eben auch für konservative Hardliner wie die Brexiteers oder den US-Kandidaten Ted Cruz. Und dann feierte sie in New York mit Donald Trump seinen Sieg. Ihre alten Freunde hassten sie dafür. Man kann ihre Geschichte auch exemplarisch lesen. Wie der Sog aus Geld, Macht und Erfolg aus den Utopisten der digitalen Welt Zerstörer machte. Kaiser brauchte durchaus Geld. Ihre Eltern hatten in den letzten Wirtschaftskrisen fast alles verloren. Die musste sie unterstützen. Und es war doch auch ein Rausch, wenn Außenseiterkandidaten wie Ted Cruz und Donald Trump plötzlich zu Siegern wurden.

Als der ehemalige britische Vizepremier Nick Clegg für seinen neuen Arbeitgeber Facebook auftritt, kommt die erste Publikumsfrage von Kaiser.

Da blieben Gewissensbisse außen vor. Der Erfolg kam nicht immer. Deutschland war zum Beispiel eines der wenigen Länder, in denen Cambridge Analytica nicht landen konnte. Der Trump-Stratege Steve Bannon wollte die Firma der AfD vorstellen, erzählt sie. "Meine Kollegen und ich waren darüber nicht gerade begeistert. Bannon hatte uns schon mit den Brexiteers verkuppelt. Der einzige Weg, wie wir Alexander (Nix) von solchen Bannon-Kontakten abbringen konnten, war, wenn wir ihn davon überzeugten, dass man woanders mehr Geld verdienen konnte. Er war ja gar nicht so rechts. Aber er war sehr vom Geld getrieben. Deswegen haben wir ihm ein Treffen mit der CDU verschafft." Doch die Antwort aus Berlin war eindeutig. "Die haben gesagt, das ist ja alles sehr beeindruckend, aber lasst uns in Ruhe. Nein. Wir können Daten so nicht einsetzen. Weil Deutschland die strengsten Datengesetze der Welt hat." Das Grundproblem sei sowieso, dass die Anständigen in der Politik die Methoden von Cambridge Analytica nicht einsetzen wollen. "Rechte Parteien arbeiten negativ. Sie verleumden ihre Gegner, haben keine Scheu vor Rassismus, Sexismus und Aufrufen zur Gewalt. Liberale, Sozialdemokraten und Grüne diskutieren lieber ihre politischen Programme." Bleibt abzuwarten, dass sich die Aufregung über die Person Brittany Kaiser legt und man ihr zuhört, was sie an Herrschaftswissen anzubieten hat. Als am Ende der Konferenz der ehemalige britische Vizepremier Nick Clegg für seinen neuen Arbeitgeber Facebook auftritt, kommt die erste Publikumsfrage von Kaiser. "Warum bezeichnet Facebook die Moderation politische Inhalte als Zensur?" Clegg witzelt die Frage politprofessionell weg. Den Applaus bekommt trotzdem Brittany Kaiser.

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Kriminalität im Netz Gegen den Hass

Die Justiz will stärker gegen Beleidigungen im Internet vorgehen, dafür gibt es nun einen Hate-Speech-Beauftragten. Die Notwendigkeit zeigt eine Umfrage des Städtetags: Die meisten Bürgermeister erlebten schon einmal Hetze  Von Maximilian Gerl und Dietrich Mittler, Süddeutsche vom 13. Februar 2020

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München - Bayerns Strafverfolger sollen effektiver und härter gegen Hasskommentare, Gewaltaufrufe und Drohungen im Internet vorgehen können. Am Mittwoch stellte Justizminister Georg Eisenreich (CSU) den neuen Hate-Speech-Beauftragten der bayerischen Justiz vor. Der 49-jährige Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Hartleb - 20 Jahre Berufserfahrung, davon die letzten anderthalb Jahre bei der Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus - soll künftig landesweit den Kampf gegen den Hass im Netz koordinieren. Hassreden, sagte Eisenreich, habe es schon immer gegeben. "Aber im Internet hat sich etwas zusammenbraut, was eine echte Gefahr für unsere Demokratie ist." Der Kampf gegen die Verbreitung von Hass über das Internet sei daher "eine zentrale Herausforderung unserer Zeit".

Ein neues Online-Verfahren soll es leichter machen, Hetzer anzuzeigen

"Aus Hass kann reale Gewalt werden", betonte Eisenreich und verwies unter anderem auf den Mordanschlag auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) und auf den Terrorangriff auf die Synagoge in Halle. Die Bekämpfung von Hate Speech sei auch eine Bekämpfung von Extremismus, sagte Eisenreich. Die Botschaft laute: "Wir schauen hin, wir greifen durch, wir lassen niemanden allein." Mit Blick auf die Kommunalwahlen in Bayern gelte das insbesondere auch für Lokalpolitiker, die Kraft und Zeit für das Gemeinwohl investieren. "Wer Politiker angreift, greift nicht nur konkrete Personen an, sondern auch die Demokratie", sagte Eisenreich. Über ein neues Online-Verfahren, das spätestens im April eingerichtet sein soll, werde es Kommunalpolitikern erleichtert, sich direkt an die Justiz zu wenden, wenn sie beispielsweise in sozialen Netzwerken beschimpft werden. Wie notwendig dieser Schritt ist, stellte der Bayerische Städtetag dar. In einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage des Verbands berichten 80 Prozent der Bürgermeister von Beleidigungen per Brief oder im Netz. Konkrete Gewaltandrohungen erfuhren 32 Prozent, körperliche Übergriffen zwölf Prozent - und 19 Prozent wurden sogar mit dem Tode bedroht. 64 Prozent der bayerischen Bürgermeister gaben zudem an, dass auch Beschäftigte in ihrer Verwaltung Opfer von Beleidigungen oder Angriffen geworden seien. Repräsentativ ist die Umfrage nicht, denn nur ein Viertel der gut 300 Verbandsmitglieder hat mitgemacht. Viele Betroffene sprechen offenbar nur ungern darüber. Sei es aus Angst oder aus Scham. Trotzdem spiegeln die Zahlen aus Sicht des Städtetags wider, was sich im Netz unter dem Deckmantel der Anonymität entwickelt hat. Bislang aber, so die Kommunalpolitiker, seien nach Hassbotschaften die Ermittlungen nur zu oft im Sande verlaufen. "Es ist kein Problem der Polizei", sagte Augsburgs Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU), der dem Städtetag vorsitzt. "Es ist ein Problem der Masse." Die Hemmschwelle sei unter dem Schutz der Anonymität immer geringer geworden, sagte Justizminister Eisenreich. Über die sozialen Medien würden die Hass-Kommentare angefacht und geteilt. Bislang sei man den Autoren und Verbreitern nur schwer auf die Spur gekommen - auch weil sich "Facebook und Co" nur wenig kooperativ gezeigt hätten, wie Eisenreich durchblicken ließ. Aber die Verantwortlichen hätten ihm zugesagt, staatsanwaltschaftliche Ermittlungen künftig besser zu unterstützen. Auch ohne die Mitwirkung von Facebook kam die Staatsanwaltschaft Deggendorf den Tätern auf die Spur. Die hatten dem Justizministerium zufolge anlässlich eines Live-Streams auf der Internetplattform der AfD Bayern üble Hasskommentare zu einer Asylbewerber-Demonstration abgegeben. Wegen Volksverhetzung wurden im konkreten Fall bereits 155 Personen rechtskräftig verurteilt, darunter ein Angeklagter zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten auf Bewährung sowie zu einer Geldauflage in Höhe von 1800 Euro. In einem anderen Fall, in dem ein Mann zur Eröffnung eines Flüchtlingsheims im Internet für jedermann öffentlich lesbar kommentierte, er hätte als freiwilliger Bauhelfer "doch glatt n paar Löcher in die Gasleitung gemacht", wurde der Täter nach den erfolgreichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth wegen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten ohne Bewährung verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. "Wir haben schlagkräftige Ermittlungsstrukturen, die wir jetzt noch weiter optimiert haben", sagte Eisenreich. Tatsächlich wurden bei allen 22 bayerischen Staatsanwaltschaften bereits Sonderdezernate zur Bekämpfung von Hassbotschaften eingerichtet. Der neue Hate-Speech-Beauftragte Klaus-Dieter Hartleb soll die Sonderdezenten der örtlichen Staatsanwaltschaften beraten, die Zusammenarbeit bei überregionalen Verfahren koordinieren und für "einheitliche Maßstäbe bei der Rechtsanwendung" sorgen. Hartleb stellte klar, was das für ihn heißt: "Ich will auf angemessen hohe Strafen hinwirken." Bayern setze auf die abschreckende Wirkung solcher Verfahren, erklärte Minister Eisenreich. Damit steht er nicht allein. So sagte Städtetags-Chef Gribl: Es gehe nun darum, "dass das, was sich da verselbstständigt hat, nicht salonfähig wird". Er selbst kennt solche Drohungen zur Genüge. Vor allem nach dem Vorfall im Dezember am Augsburger Königsplatz, bei dem ein Feuerwehrmann in einem Streit mit jungen Männern zu Tode kam, ergoss sich über das Rathaus eine Flut von wüsten Beschimpfungen und Bedrohungen. Bei diesen gewann Gribl eigener Aussage nach den Eindruck, sie seien von einer unbekannten Stelle aus orchestriert worden. Der Oberbürgermeister betonte, er habe für sich entschieden, Anzeige gegen die Urheber von Beleidigungen und Bedrohungen zu erstatten. Die Täter dürften nicht davonkommen. Auch Eisenreich sieht das als einzig richtigen Ansatz an. Aber: "Was die Anzeigen betrifft, ist da noch Luft nach oben."

 

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