Triumph der Frechheit

Der Staat findet keine angemessene Antwort auf die Dreistigkeit der "Querdenker". Das ist fatal. Süddeutsche vom 24. November 2020.

Am Sonntag twitterte die Berliner Polizei an demonstrierende Kritiker der Corona-Maßnahmen: "Auch wenn sich der Protest gegen die geltenden #covid19 Bestimmungen richtet, sind diese dennoch einzuhalten - unsere Kolleg. werden weiterhin darauf achten und die Einhaltung mit Nachdruck einfordern." Nun war bisher der Nachdruck der Ordnungskräfte auf den "Querdenker"-Versammlungen in deutschen Städten überschaubar: Abgesehen von Rangeleien mit Einzelnen bestand die härteste Maßnahme in einer weichen Regendusche aus einem Wasserwerfer, am vergangenen Mittwoch nämlich im Berliner Regierungsviertel. Damit wurde auch Rücksicht auf Alte und Kinder genommen, die die "Querdenker" an die Außenseiten ihrer Versammlungen gestellt hatten, als menschliche Schutzschilde. Gewiss denkt jeder Polizeistratege an die Verletzungen, die 2010 von Wasserwerfern bei der Räumung des Stuttgarter Schlossgartens nach "Stuttgart 21"-Protesten verursacht wurden. Die Räumung überfüllter Plätze kann hässliche Bilder erzeugen.
Pressekonferenz vom 24. November 2020 LINK , SPIEGEL LINK

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Dass sehr viele "Querdenker" nicht daran denken, sich an Bestimmungen und Auflagen zu halten, ist nicht überraschend. Absichtsvoll falsch kalkulierte Teilnehmerzahlen führen zu drangvoller Enge, der dann umso wichtigere Mund-Nasen-Schutz wird massenhaft und triumphierend verweigert. Die dabei aufkommende Volksfeststimmung - Böller und Polonäse - nährt sich aus dem Glücksgefühl einer gelungenen Erpressung derer "da oben". Dabei müsste auch für die Corona-Demonstranten gelten, dass sie das Ziel ihrer Proteste nicht vorwegnehmen dürfen. Wer das Demonstrationsrecht in Anspruch nimmt, um in seiner Wohngegend gegen Tempo 30 und eine Fußgängerampel zu protestieren, erwirbt damit nicht das Recht, mit 80 Stundenkilometern die rote Ampel zu überfahren. Er muss abwarten, ob sein Protest politischen Erfolg hat - oder eben nicht.

      

Nun würden einige der Corona-Demonstranten diesen Vergleich vermutlich ablehnen. Aus ihrer Sicht ist das ansteckende Virus gar nicht bedrohlich ("ein Schnupfenvirus", "eine Art Grippe"), wenn es denn überhaupt existiere. Ihr Protest soll vorgeblich auch dazu dienen, der Mehrheit die Angst auszureden, so hört man es bei den freundlicheren der Teilnehmer. Andere bestreiten nur die Verhältnismäßigkeit oder die Nützlichkeit der ergriffenen Maßnahmen. Schließlich gibt es die Extremisten, die vom Widerstand gegen eine drohende Diktatur reden. Am Ende kommen die, die Gewalt gegen das System um ihrer selbst willen suchen.

      

Alle diese Protestfraktionen nehmen durch die Missachtung der Hygieneauflagen ein in der Geschichte der Bundesrepublik eingeübtes Gewohnheitsrecht in Anspruch, nämlich das Recht auf "zivilen Ungehorsam". Der Begriff kommt aus der amerikanischen Tradition, er spielte in der Bürgerrechtsbewegung der Sechzigerjahre eine prominente Rolle. Für Westdeutschland hat ihn Jürgen Habermas 1984 unmittelbar nach den Friedensdemonstrationen gegen den Nato-Doppelbeschluss in einem berühmten Aufsatz unter dem Titel "Recht und Gewalt - ein deutsches Trauma" systematisiert. Damals ging es um die Legitimität kalkulierter Regelverstöße wie Sitzblockaden vor Kasernen und Raketenstützpunkten. An sie erinnert bis heute ikonisch ein Bild der Fotografin Barbara Klemm, das einen Teil der bundesrepublikanischen Geistesprominenz bei einer solchen Blockade zeigt. Habermas verteidigte die begrenzte Herausforderung des staatlichen Gewaltmonopols mit einem hochfliegenden Gedanken: Eine Rechtsordnung bestehe aus mehr als Legalität, nicht nur aus dem Buchstaben des Gesetzes. Sie bedürfe darüber hinaus der Legitimität, die sie für die Bürger aus freien Stücken akzeptabel mache.

      

Kurz: Zwang allein hilft nicht. Im Protest, der sich aus politischem Veränderungswillen speist, erneuere sich die sittliche Grundlage der Rechtsordnung, so Habermas weiter. Ihre Prinzipien werden an veränderte Lebensverhältnisse und neue Bedürfnisse angepasst. Nicht nur der reguläre politische Prozess, auch der engagierte Regelbruch von Bürgern, die "unmittelbar in die Rolle des Souveräns eintreten", wird zum Motor für "überfällige Korrekturen oder Neuerungen". Für diese Möglichkeit fanden die Bürger der DDR schon fünf Jahre später die bis heute zündende Parole: "Wir sind das Volk!"

Das "Volk" in der Rolle des Souveräns ist längst zur deutschen Schmierenkomödie verkommen

Wie zweideutig sie ist, hat sich seither allerdings immer wieder gezeigt. Sie kann zur Beute militanter Minderheiten werden, die sich populistisch selbst ermächtigen, nur weil sie auf einem bestimmten Platz die Sprechchormehrheit an sich gerissen haben. Eine Geschichte des Rufs "Wir sind das Volk!" seit 1989 würde eine verstörende Fülle von Anwendungen aus allen politischen Lagern von links bis ganz rechts zutage bringen. Der Selbsteintritt des "Volks" in die Rolle des Souveräns ist längst zur deutschen Schmierenkomödie verkommen.

      

Solcher Missbrauch lässt sich nun aus den feingesponnenen Überlegungen von Habermas gerade nicht ableiten. Er knüpfte die Legitimität eines zivilen - idealerweise auch zivilisierten - Ungehorsams an drei Bedingungen. Erstens müsse die Rechtsordnung im Ganzen, und damit auch das Gewaltmonopol des Staates, prinzipiell intakt bleiben; zweitens müsse der Regelverletzer für die rechtlichen Folgen seines Tuns einstehen - im Zweifelsfall muss er bereit sein, eine Sanktion hinzunehmen; drittens aber, und das ist die höchste Hürde, verlangt Habermas, dass der Regelbrecher, "was immer seine subjektiven Überzeugungen sind, seinen Ungehorsam aus anerkannten verfassungslegitimierenden Grundsätzen begründen kann". Der Protest soll also im Einklang mit den Prinzipien der Verfassung auch dann bleiben, wenn er einzelne positive Gesetze verletzt.

      

Damit ist der Widerstand gegen eine Diktatur oder gegen Versuche, sie zu errichten, ausdrücklich nicht gemeint. Davon konnte zu Beginn der Achtzigerjahre ja auch keine Rede sein. Trotzdem ist es nicht trivial, das heute zu erwähnen, eben weil die Extremisten unter den Corona-Protestlern immer wieder mit Diktaturvorwürfen kommen - bis zu jener unseligen "Jana aus Kassel", die sich am Wochenende als neue Sophie Scholl in Szene setzte.

      

Die drei Habermas-Kriterien passen allerdings auch sonst nicht auf die Regelbrüche der "Querdenker". Diese Leute bedeuten in einer hochansteckenden Pandemie eine beträchtliche Gefahr für andere Menschen und ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit. Schon das delegitimiert die Regelverletzungen auch unter duldsamster bundesrepublikanischer Perspektive. Sie haben zudem Anteil an einer Unkultur der Pöbelei und Gewalttätigkeit, die nicht nur Polizeikräfte, sondern auch Feuerwehr und Rettungsdienste immer öfter trifft. Auch Journalisten werden, sofern sie sich erkennbar machen, regelmäßig Ziele von Beschimpfungen und physischer Gewalt. Dass dergleichen in weitem Umfang hingenommen wird, beschädigt massiv die Legitimität der Rechtsordnung.

      

Inzwischen führt die Deeskalationsstrategie der Polizei ins Faustrecht der Lauten, Hemmungslosen und Brutalen. Darüber wären kaum Worte zu verlieren, bliebe nicht die Wahrheitsfrage. Die Corona-Demonstranten bewegen sich in einer anderen Wirklichkeit, sofern sie nämlich glauben, dass ihre Regelverletzungen keinen Schaden anrichten. Wer Corona für eine Grippe hält, wird den Vorwurf, er bedrohe die körperliche Unversehrtheit anderer, kalt lächelnd oder begütigend ("keine Panik") zurückweisen.

      

Wissenschaftliche, infektiologische Befunde werden aber weder durch Demonstrationen entschieden noch durch Aushandlungen im politischen Prozess festgelegt. Die Polizei müsste sich ohnehin an das halten, was auch sonst im zivilen Leben vom friedlichen Bürger verlangt wird. Auch gibt es längst eine hinreichende Empirie, die die Gefährlichkeit des Virus einzuschätzen erlaubt, nicht nur durch Studien und Labore, sondern schlicht durch die Sterblichkeitszahlen in vielen Ländern der Erde. In den USA belaufen sie sich inzwischen auf die Einwohnerzahl einer mittleren Großstadt. Aber selbst wenn die Lage nicht so eindeutig wäre, kann der Staat nur nach dem Prinzip der Vorsicht agieren: Er muss die mögliche Gefahr ernst nehmen, sie so bald und präzise wie möglich ergründen, im Einklang mit der besten verfügbaren Wissenschaft. Erst danach kann die immer neue Abwägung von Nutzen und Nebenfolgen der Schutzmaßnahmen einsetzen. Diese Abwägung ist dem politischen Streit selbstverständlich zugänglich, auch einem Konflikt der Interessen, den die Verfassung seit jeher in reguläre, gut eingeübte Bahnen lenkt.

      

Dazu zählen auch Kundgebungen. Denn diese lassen sich bei gutem Willen und bei entschlossener staatlicher Aufsicht ja auch hygienisch unbedenklich einrichten. Das noble und fragwürdige Instrument des zivilen Ungehorsams ist da vollkommen unnötig. Es gibt keinen guten Grund, hier das Gewaltmonopol des Staates zu relativieren. Daran könnten auch Gerichte denken, die wirklichkeitsfernen Zusagen von Demonstrationsleitern Glauben schenken.

      

Die gesetzestreuen Bürger dieses Landes haben ein Recht darauf, nicht fortlaufend von einer dreisten Minderheit verhöhnt zu werden.

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Bauchgefühl und Mathematik

Freude am Gegenwissen   Wie kommt man mit Menschen ins Gespräch, die Corona-Maßnahmen ablehnen und dagegen auf die Straße gehen? Sind sie für die Vernunft verloren? Ein akademisches Experiment am Bodensee.

Ein Gastbeitrag von Christoph Brauer, Johannes Pantenburg, Johanna Puth und Benedikt Sepp

Süddeutsche vom 7. Oktober 2020

Die vielen Polizisten stehen etwas verloren vor dem bunten Volk, das sich am Ufer des Bodensees versammelt hat: Wir sehen strickende Frauen und Eltern mit Kindern auf Picknickdecken; junge Männer, die eher nach Surfschule als nach Reichsbürgernachwuchs aussehen, geben Getränke gegen einen frei wählbaren Soli-Beitrag aus. Zwei Männer Mitte fünfzig in karierten Hemden fotografieren sich gegenseitig mit der Bühne im Hintergrund: Festhalten, dass man dabei war.

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Wir sind wissenschaftliche Mitarbeiter und Studierende am Lehrstuhl für Zeitgeschichte der Universität Konstanz. Am vergangenen Wochenende haben wir uns unter die große Kundgebung der "Querdenken"-Bewegung gemischt, die am Bodensee im Anschluss an eine "Friedenskette" stattfand, und Gespräche geführt.

Unsere Erwartungen waren stark durch die Bilder aus Berlin geprägt, wo Ende August für einen Moment Reichsflaggen vor dem Reichstag wehten und sich Rechtsextreme kurz vor der Machtergreifung wähnten. Nach "QAnon"-Verschwörungstheoretikern, Reichsbürgern oder Identitären muss man hier in Konstanz nun länger suchen, auch weil die Stadtverwaltung Reichsfahnen und entsprechende Symbole auf der Demonstration untersagt hat - die Gruppen sind aber auch hier zu finden und neben Siebenten-Tags-Adventisten, Geistheilern, Patschuliduft und speziellen Querulanten mit ihren Flyern und Magazinen gleichberechtigt geduldet.

Dass man vorwiegend Rechtsextreme mit der "Querdenken"-Bewegung verbinde, sei der eigentliche Skandal, so sieht es der Großteil der am Seeufer Versammelten: Viele beschreiben die Teilnahme an der Demonstration in Berlin und vor allem die folgende Berichterstattung mit ihrem vermeintlich ausschließlichen Fokus auf die Rechten als Schlüsselerlebnis, das sie in ihrem tief sitzenden Misstrauen gegen die "Mainstream-Medien" bestärkt habe. Misstrauen gegenüber Medien und Politik ist, neben der Ablehnung der Pandemiemaßnahmen ("überzogen", "Panikmache", "verfassungswidrig"), ein einigendes Element der sonst sehr diversen Truppe.

Warum interessieren wir uns wissenschaftlich für die Proteste vor unserer Haustür? Weil die "Querdenker" exemplarisch für eine relativ moderne Entwicklung in der Geschichte der sozialen Bewegungen sind: Zentral sind Bemühungen, einen neuen, gegen die etablierte Wissenschaft und Pandemiepolitik gerichteten Typ Wissen in die Öffentlichkeit zu bringen. Die Demonstranten als "Covidioten" abzutun, stärkt dabei nur deren Selbstwahrnehmung als Kämpfer für eine unterdrückte Wahrheit - das Ziel unserer Forschungsgruppe aus Geschichte, Soziologie, Politik- und Medienwissenschaft ist es hingegen, besser zu verstehen, warum Youtube-Videos in diesen Kreisen eher Glauben finden als anerkannte wissenschaftliche Autoritäten und Medien.

Groß ist hier die Sehnsucht nach Eindeutigkeit und Normalität

Ergänzend zu einer Auswertung von Internetkommunikation, statistischen Erhebungen in Umfragen und ethnografischen Beobachtungen haben wir daher ausführliche Interviews auf der Konstanzer Demonstration geführt. All dieses Material wollen wir in den nächsten Monaten genauer analysieren. Unsere ersten Eindrücke von den Gesprächen und Diskussionen zeigen jedoch schon, dass es zu kurz greifen würde, ausschließlich mangelnde Medienkompetenz und autoritäre Charakterzüge für den grassierenden Vertrauensverlust verantwortlich zu machen.

Trotz wissenschaftskritischer Grundstimmung wird unser kleines Team überwiegend freundlich empfangen, und die Auskunftsfreudigkeit ist groß: Gehört zu werden, ausführlich in ein Aufnahmegerät sprechen zu können, das wirkt auf viele schon als vertrauensbildende Maßnahme. Eine bunt gekleidete Naturpädagogin ist noch ganz beseelt vom Singen des Friedensmantras; für Frieden und Liebe sei sie nach Konstanz gekommen. Andere wollen der Angst in der Gesellschaft entgegenwirken, wieder andere schlichtweg wieder frei reisen. Tatsächlich ist es schwer, sich von manchen Geschichten der Teilnehmer nicht berühren zu lassen: ein junger Handwerker, der wegen der Schließung der Grenze zwischen Konstanz und der Schweizer Nachbarstadt Kreuzlingen wochenlang seinen Sohn nicht gesehen hat; eine Frau, deren Mutter im Pflegeheim Demenz entwickelte und ihre einzige Tochter nicht erkannte, als sie das erste Mal im virensicheren Overall zu Besuch kam.

Wir stoßen in Konstanz auf einige legitime Kritikpunkte und halb verstandene Christian-Drosten-Podcasts; eine Neigung zur Esoterik bei Einzelnen ("Auf welcher Seite steht ihr? Auf der spirituellen oder der rationalen - mit der rationalen rede ich nicht!"), auf Unverständnis gegenüber der Uneinigkeit der Virologen und der angeblich falschen Auswahl der zentralen Experten in den Medien sowie Forderungen nach Eindeutigkeit und Klarheit der Wissenschaft bei fast allen.

Aus dieser Ablehnung von Unsicherheiten und Mehrdeutigkeiten schälen sich jedoch tiefergehende Erweckungsgeschichten heraus: Die Versicherungskauffrau, die eben noch über ihre demente Mutter sprach, wispert von Eliten, die hinter dem Lügengebäude, das sie vor Kurzem noch ihr Leben nannte, die Versklavung der Welt planten. Ein Familienvater und CDU-Mitglied ließ "sein altes Weltbild in Ruinen zurück". Wir Interviewer werden darüber aufgeklärt, dass die Wirkungslosigkeit von Masken längst bewiesen sei, gar Kinder aufgrund der Mund-Nasen-Bedeckung an "Schimmel in den Lungen" sterben könnten, kritische Ärzte mundtot gemacht würden und ein neues "Ermächtigungsgesetz" längst geplant sei. Manchen gilt die Corona-Krise nur als Auswuchs eines korrupten Regimes aus Politik, Wirtschaft und Medien.

Mit Taschenrechner und Youtube: Man spürt so etwas wie eine Freude am Gegenwissen

Das Bauchgefühl, dass etwas mit den Infektionszahlen und Pandemie-Maßnahmen "faul sei", ist dabei für viele der Ausgangspunkt in eine neue (überwiegend digitale) Welt des selbstgemachten, "kritischen" Wissens. Wiederholt hören wir von Aha-Erlebnissen im eigenständigen, "kritischen" Denken, etwa beim Lesen eines "Nicht-Mainstream-Blogs". Der kleinteiligen Ausdifferenzierung der modernen Wissenschaften setzen viele "Querdenker" Intuition und Schulmathematik entgegen. Manch einer auf der Bodenseewiese braucht nur Bleistift, Taschenrechner und Youtube, um nachzuweisen, dass die Mehrheit der Mediziner, Epidemiologen und Virologen sich schlicht verrechnet habe.

Wenn uns, den Interviewern von der Universität, auf Mobiltelefonen akribisch nachgerechnete RKI-Zahlen vorgezeigt, Artikel in Telegram-Gruppen und mathematische Formeln präsentiert sowie obskure Video-Experten empfohlen werden, dann merkt man, wie falsch ein Aburteilen dieser Menschen als passive Konsumenten von Verschwörungsmythen wäre. Vielmehr überwiegt eine selbstermächtigende Freude am Gegenwissen, an der Rolle des eigentlichen Experten. In ihrer Eigeninitiative, so drängt es sich uns in Konstanz assoziativ auf, gleichen sie eher Heimwerkern: Wie der Heimwerker sich mit eigenständig besorgten Materialien, selbsterlerntem Know-how mittels Anleitungen aus dem Internet oder Hilfe von Freunden sein Gartenhäuschen baut, setzen sich die "Querdenker" im Austausch mit Gleichgesinnten ihre alternativen Wissens- und Wirklichkeitskonstrukte zusammen.

Entsprechend groß ist der Stolz und das Selbstbewusstsein, mit dem diese Menschen ihre Ergebnisse dann dem Gegenüber präsentieren: Auch das selbstgebaute Gartenhäuschen ist schließlich immer viel schöner als das fertige aus dem Baumarkt. Die Eigeninitiative, Ausdauer und Frustrationstoleranz der virologischen Heimwerker ist dabei durchaus beeindruckend - und gibt vielleicht sogar Anlass zu ein wenig Hoffnung.

Denn viele dieser Wissensmanufakteure sind keine hartgesottenen Verschwörungstheoretiker. Sie sind eher von der Komplexität, der Wandelbarkeit und Mehrdeutigkeit der akademischen Wissenschaft verunsichert. Sie klammern sich an die Hoffnung, dass gesunder Menschenverstand und Intuition der akademischen Epistemologie überlegen seien. Dabei sind sie vom nachvollziehbaren Wunsch getrieben, die alte Normalität wiederherzustellen. Sie jetzt mit Fachbegriffen und Nazi-Vorwürfen von oben herab widerlegen zu wollen, würde den Großteil der "Querdenker" jedoch tatsächlich zu jenen Verschwörungstheoretikern machen, als die sie jetzt schon gesehen werden. Es muss sich nun zeigen, ob noch mehr kluge Informationspolitik vonseiten der Regierung und Wissenschaft helfen kann, um den Großteil dieser Menschen ohne subjektiven Gesichtsverlust auf den Boden der Tatsachen zurückkommen zu lassen.


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